Der Eisbär

Monterey Bay Aquarium

 
Ein riesiger Eisbär entdeckt von einer Eisscholle aus einen kleinen Fisch. Man sieht, der Große will den Kleinen unbedingt schnappen, aber selbst nicht ins Wasser.

Es scheint, als wolle der Fisch den Eisbären foppen. Er schwimmt munter hin und her, manchmal bis in die Nähe des Bären, ist aber schnell wieder weg. Er zeigt dem was­serscheuen Riesen seine Kunststücke: Er stellt sich senkrecht, er lässt sich lang­sam zum Grund niedersinken, er dreht den Bauch nach oben. Aber immer hält er Abstand zu dem Untier am Rand.

Der Fisch treibt den Bären fast zum Wahnsinn. Der weiße Jäger rennt auf der Scholle hin und her. Er beugt sich über das Wasser. Er streckt sich Richtung Fisch. Er giert. Er hechelt. Er reckt sich noch weiter vor. Wie kann er sich noch halten? Warum plumpst er nicht ins Was­ser?

Der Fisch hält Abstand.

Das Publikum feuert den Bären an. Er soll springen – oder ins Wasser fallen. Dann ist der Fisch gerettet. Der entstehende Wasserschwall bringt ihn in Sicherheit. Dann stimmt die Moral: Übermut usw., David und Goliath, die große Gier.

Den Bären kümmert das Publikum nicht. Er hetzt weiter an der Scholle hin und her. Verrenkt sich. Leckt seinen triefenden Speichel. Fixiert den Fisch mit starrem Blick.

Der Fisch spielt weiter seine Rolle. Er macht sogar eine. Er ist nun mal in seinem Element. Er lässt den Großen zappeln. Er bestimmt das Geschehen. Er diktiert. Er ist ein Star.

Er wird mutig, wagemutig, übermütig.

Das Publikum feuert den Bären an. Er soll es wagen. Er soll reinfallen. In jeder Beziehung. Der Kleine soll gewinnen. Man will die Moral.

Der Bär sucht seine Chance.

Der Fisch treibt auf ihn zu.

Das Publikum feuert an.

Der Fisch verliebt sich in seine Rolle. Tollkühnheit!

Das Publikum hält dem Atem an.

Ein Wimpernschlag. Der Bär fasst zu, hat den Fisch, beißt. Ein winziger Happen. Goliath trollt sich. Weg vom Publikum.

Schock. Anerkennung. Applaus.

Und die Moral?
 
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