Zweimal Dresden: 1945 und 2015

 

In der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 vernichteten alliierte Bomberverbände den Großraum der Stadt Dresden. Die Luftangriffe legten nicht nur die barocke Innenstadt in Schutt und Asche, sondern es kamen auch etwa 25000 Menschen ums Leben. Das ist eine Größenordnung an Opfern, die dem zweiten Atombombenabwurf der US-amerikanischen Streitkräfte auf die Stadt Nagasaki nahe kommt.

Die Zerstörung der Stadt hat sich in die Erinnerung der Dresdner tief eingegraben. Das Bombardement wurde von vielen als Willkürakt empfunden. Das Gedenken an die Opfer und die Zertrümmerung des historischen Stadtkerns findet in dem ehemaligen Elbflorenz seit Kriegsende am Jahrestag des Bombenabwurfs unter großer Anteilnahme der Bevölkerung seinen Ausdruck. Sicherlich kam die Empörung der Bevölkerung den Machthabern innerhalb der damaligen sowjetisch besetzten Zone und der späteren Regierung der DDR in der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Westen gelegen.

Aber unabhängig von aller Ideologie: Ein Sinn des Vernichtungsakts ist selbst unter kriegsstrategischen und –taktischen Aspekten bis heute nicht zu erkennen und die Annahme, der Kampfwille des Gegners werde durch Bombardierung von Wohn- und Geschäftsvierteln geschwächt, wurde schon im Krieg widerlegt. In Großbritannien wandten sich übrigens noch zu Kriegszeiten Mitglieder des „House of Lords“ gegen diese Art der Kriegsführung durch Winston Churchill.

Die Erbitterung gegen einen Krieg ohne moralische Schranken ist in Dresden auch auf jüngere Generationen übergegangen. Gedenkaktionen fanden und finden durch kirchliche Friedensgruppen statt, und auch durch Parteien, Gruppierungen und Grüppchen, die über die gesamte politische Spannweite hinweg von der extremen Rechten bis zum äußerst linken Meinungspool reichen. Es werden zwar völlig unterschiedliche Lehren aus dem historischen Geschehen gezogen, aber in der Verurteilung der Taten ist man sich einig.

Seit Februar 2015 (bis Mai 2015) wird im so genannten Dresdner Panometer ein Rundum-Panorama der zerstörten Stadt gezeigt. Die Installation gibt annähernd das Bild wieder, das sich am Morgen des 14. Februar 1945 einem fiktiven Betrachter geboten haben muss. In Zeiten, in denen mediale Manipulationen nichts Ungewöhnliches sind, sollte man zwar auch eine bildliche Darstellung von Dresdens historischem Tiefpunkt kritisch betrachten, aber Yadegar Asisi – von dem das Ausstellungskonzept stammt – und seine Mitarbeiter haben sich offensichtlich kundigen Rat eingeholt. Das Panorama und die dazugehörige Ausstellung stellen einen realistischen Eindruck des Kriegsgeschehens dar. Dass der Eine oder Andere vielleicht glaubt, manche Details müssten in einer anderen Weise dargestellt werden, ist bei dieser Thematik nicht anders zu erwarten.

Modell des zerstoerten Dresdens

Nicht nur an den Wochenenden gibt es lange Schlangen vor den Eintrittskassen des Panometer. Auf den Einlass warten nicht nur Personen im Rentenalter, die sich vielleicht noch an Kriegszeiten erinnern können. Gerade auch jüngere Generationen sind dabei. Aber alle verstummen in ihrem Gespräch, beim Anblick des monumentalen Ruinenbildes, untermalt durch dumpfes Motorengedröhn und Geräusche. Selbst Kinder und Jugendliche dämpfen ihre Stimmen vor dem biblischen Ausmaß der Zerstörung. Die Ausstellung macht Krieg fühlbar. So trägt sie zum Frieden bei.

Ein seltsamer Kontrast, wenn sich der Besucher anschließend zur Kreuzkirche begibt: Das Gotteshaus am Altmarkt, berühmt für seinen Kreuzchor und ebenso bekannt durch begnadete Kreuzorganisten, bewahrt seit 1986 ein Nagelkreuz von Coventry. Es ist Ausdruck der Absicht, sich für eine völkerweite Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg einzusetzen. Nach der Erschütterung durch die Impressionen aus dem Panometer, scheint die Kreuzkirche ein Ort der Erbauung und Hoffnung.

Doch ein paar Schritt weiter ein Bild von „Bomber-Harris“, dem Verantwortlichen Sir Arthur Travers Harris, der von seinem Schreibtisch in London aus die Flächenbombardements deutscher Städte anordnete und koordinierte. Auch das von Dresden. Für viele ist er ein Kriegsverbrecher. Ein Holzschnitt stellt ihn dar. Nicht lebensgroß, aber groß. Harris in einer Nagelkreuzkirche. In der Kreuzkirche Dresden.

Dazu ein längerer Text in dem es heißt, dass Harris weder eine alleinige Schuldzuweisung noch eine Entlastung wegen der Angriffe auf Dresden verdient. Er wird als überzeugter Verteidiger der Luftangriffe auf deutsche Städte bezeichnet – hier wird sprachlich der Angreifer ein Verteidiger! – und man zitiert ihn folgendermaßen: „Das Ziel der Combined Bomber Offensive … muss eindeutig und öffentlich dargestellt werden. Das Ziel ist die Zerstörung der deutschen Städte, die Tötung deutscher Arbeiter und die Zerschlagung des zivilisierten sozialen Lebens in Deutschland.“ Im Text heißt es weiter, dass das „Bomber Command“ über 55 000 Männer während des Krieges mit einem Durchschnittsalter von 22 Jahren verlor. Kein weiterer Kommentar im Kirchentext.

Kreuzkirche Dresden

Kirche soll Orientierung geben. Wird sie diesem Anspruch gerecht durch Holzschnitt und Text (, der hier verkürzt wiedergegeben wurde)? Was bedeutet es, dass Harris weder eine alleinige Schuldzuweisung noch eine Entlastung verdient? Nicht immer kann man zwar eine Stellungnahme auf das Matthäus-Wort reduzieren: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ Aber etwas mehr Luthersche Klarheit wäre schon angebracht. Es widerspricht nicht dem Versöhnungsgedanken, dass man Verbrechen als Verbrechen bezeichnet. Dass von deutscher Seite aus der Zweite Weltkrieg begonnen wurde, ist als Verbrechen anzusehen, steht aber hier nicht zur Debatte. Der Holocaust war ein in seiner Dimension unfassbares Verbrechen, dass hauptsächlich von Deutschen begangen wurde. Darum geht es an dieser Stelle auch nicht. Aber das Verbrechen einer Seite rechtfertigt nicht das Verbrechen der anderen. Zur Versöhnung gehört Wahrhaftigkeit.

Sich der Thematik der Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg zu stellen, ehrt den Vorstand der Kreuzkirchengemeinde. Aber dann hat ihn wohl der Mut verlassen. Die Fakten deuten darauf hin, dass „Bomber Harris“ ein Kriegsverbrecher war, auch wenn er sich als Beschuldigter nie vor Gericht zu verantworten hatte. An dieser Einschätzung wird es bei den Dresdner Bürgern kaum Zweifel geben. Im Vereinigten Königreich wurde Harris sogar ein Denkmal errichtet. Denkmale dienen entweder der Selbstdarstellung von Herrschern oder versinnbildlichen Gefühle. Dass sich die Bevölkerung Großbritanniens mit dem Kriegsende befreit fühlte, nicht nationalsozialistischem Terror ausgesetzt zu sein, ist nachvollziehbar. Da verrennt man sich leicht in dem Glauben, Menschen danken zu müssen, die nicht nur beim Kriegsgegner unermessliches Leid und Schaden hinterlassen haben, sondern auch tausende von eigenen jungen Landsleuten opferten. Gefühle sind nicht rational.

Aber die heutigen Generationen in Deutschland dürfen die Dinge beim Namen nennen. Auch ein Kirchenvorstand. Gerade die durch die Kriegshandlungen besonders geprägte Dresdner Bevölkerung erwartet von einer selbstbewussten Kirche keine Verdrucktheit, sondern Offenheit und ehrliches Bekennen.

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